The Temple of Science, Aisling O'Carroll
04.11.–10.11.2024
Kunsthalle Giessen
in collaboration with
The Panel on Planetary Thinking, JLU Giessen
English text follows below the German.
The Temple of Science
Glossar der wichtigsten Begriffe | Glossary of key terms
Archiv- und Feldarbeit | Archive and Fieldwork
Rekonstruktionsprozess | Reconstruction process
Archiving Giessen
Danksagung | Acknowledgements
The Temple of Science
The Temple of Science untersucht anhand einer Rekonstruktion des Hôtel des Neuchâtelois, wie geologische, glaziologische und menschliche Geschichte am Unteraargletscher in den Berner Alpen zusammenkommt.
Das Hôtel des Neuchâtelois war eine improvisierte Berghütte, die von einer Gruppe von Glaziolog:innen während ihrer Sommerexpeditionen in den Jahren 1840 und 1841 bewohnt wurde. Die Hütte wurde unter dem Schutz eines riesigen Findlings aus Glimmerschiefer auf der Mittelmoräne des Unteraargletschers errichtet. Als der Felsblock im Winter 1842 zerbrach wurde die Berghütte zerstört. Ihre kurze Existenz markiert einen Moment, in dem geologische, glaziologische und menschliche Zeitskalen im Tal zusammentrafen. Seither wurde das Hôtel in westlichen wissenschaftlichen Diskursen und alpinen Erzählungen als „Tempel der Wissenschaft“ romantisiert, wodurch die Autorität und Unerschrockenheit der Expeditionsteilnehmer in der Landschaft betont wurde.
Mit Beweismaterialien aus Feldforschung und Archiven schlägt diese Rekonstruktion der Hütte im Maßstab 1:10 einen alternativen „Tempel der Wissenschaft“ für die heutige Zeit vor. Anstelle der ursprünglichen Trockensteinmauer lädt die spiegelnde Einfassung dieser Version unterschiedliche Perspektiven von Menschen wie Nicht-Menschen ein und reflektiert diese mit. Sie zielt darauf ab, zu erweitern wessen Wissen im Tempel der Wissenschaft wertgeschätzt wird. Die Rekonstruktion ermutigt uns dazu, neue Wege zum Begreifen langfristiger, planetarer Veränderungen einzuschlagen und vorherrschende Modelle des Umweltwissens zu überdenken.
Die kursiv markierten Fachbegriffe werden im Glossar erläutert.
The Temple of Science examines the entwined geological, glaciological, and human histories of the Unteraar glacier in the Bernese Alps through a reconstruction of the Hôtel des Neuchâtelois.
The Hôtel des Neuchâtelois was an improvised mountain hut occupied by a group of glaciologists during their summer expeditions in 1840 and 1841. The hut was built under the shelter of a huge erratic block of micaceous schist found on the Unteraar glacier’s medial moraine. The mountain hut was lost when the boulder broke apart in the winter of 1842. Its brief existence registers a moment when geological, glaciological, and human timescales converged in the valley. The Hôtel has since been romanticized as the ‘Temple of Science’ in Western scientific and Alpine narratives, bolstering the authority and intrepidity of the expeditioners in the landscape.
Using evidence from both fieldwork and archives, this 1:10 scale reconstruction of the hut offers an alternative ‘Temple of Science’ for today. In place of the original dry-stone wall, the mirrored enclosure of this version reflects and invites in different perspectives — from both humans and nonhumans. It aims to expand whose knowledge is valued in the Temple of Science. The reconstruction encourages fresh ways of understanding long-term planetary changes, helping us rethink dominant models of environmental knowledge.
Italicised key terms are explained in the glossary.
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Glossar | Glossary
Ein Findling ist eine Gesteinsmasse, die nicht zu den umgebenden Gesteinsschichten gehört, sondern durch die Bewegung eines Gletschers von ihrem ursprünglichen Standort weg transportiert wurde. Der Findling, der als Unterschlupf für das Hôtel diente, wurde im Sommer 1841 auf 12,5 m x 9 m vermessen.
Glimmerschiefer ist ein metamorphes Gestein, das sich durch sein glänzendes, geschichtetes Aussehen auszeichnet und hauptsächlich aus Glimmermineralien besteht. Diese verleihen ihm eine reflektierende und schuppige Textur. Das Schiefergestein des Hôtel entstand vor über 400 Millionen Jahren, in der geologischen Zeitperiode, die als Ordovizium bezeichnet wird.
Eine Moräne (moraine franz. Geröll) ist eine geologische Formation, die aus dem abtransportierten Material eines Gletschers entsteht. Eine Mittelmoräne entsteht durch das Aufeinandertreffen zweier anderer Gletscher. Dabei schieben sich zwei Seitenmoränen dieser beiden Gletscher zusammen und bilden eine Spur aus Gestein und Erde in der Mitte des neuen, größeren Gletschers. Die Mittelmoräne des Unteraargletschers entsteht durch den Zusammenschluss des Finsteraar- und des Lauteraargletschers.
Hier bezieht sich der Begriff „geologisch“ auf die Erforschung der physischen Struktur der Erde.
Hier bezieht sich der Begriff „glaziologisch“ auf die Erforschung von Gletschern. Der Unteraargletscher gilt als Wiege der westlichen glaziologischen Forschung, beginnend mit den Expeditionen in den Jahren 1840 und 1841.
Die Trockenmauertechnik ist eine traditionelle Methode zum Bau von Mauern und Strukturen, bei der gefundene Steine entsprechend ihrer Form und ohne Mörtel aufeinandergeschichtet werden. 1840 und 1841 war Jakob Leuthold, der örtliche Führer des Expeditionsteams, der Architekt des Hotels. Er leitete den Bau einer Trockenmauer, um den geschützten Innenraum mit einer Länge von 3,6 m, einer Breite von 1,8 m und einer Höhe von 1,2 m zu umschließen.
An erratic is a mass of rock, foreign to the surrounding strata, that has been transported from its original site by the movement of a glacier. The erratic boulder that formed the shelter for the Hôtel was measured to be 12.5m x 9m in the summer of 1841.
Micaceous schist is a metamorphic rock characterized by its shiny, layered appearance, predominantly made up of mica minerals, giving it a reflective and flaky texture. The schist rock of the Hôtel originated over 400 million years ago, in the geological time period referred to as the Ordovician period.
A moraine is a mound or ridge of debris that has been carried and deposited by a glacier along its edges. A medial moraine is formed when two glaciers meet and the two lateral moraines from the different glaciers are pushed together to form a single ridge of rock and dirt in the middle of the new, bigger glacier. The Unteraar glacier’s medial moraine is formed by the joining together of the Finsteraar and Lauteraar glaciers.
Here, the term geological refers that which is related to the study of the Earth’s physical structure.
Here, the term glaciological refers that which is related to the study of glaciers. The Unteraar glacier is considered the cradle of Western glaciological research, beginning with the expeditions carried out in 1840 and 1841.
Dry-stone construction is a traditional method of assembling walls and structures by stacking found rocks according to their shape and without any mortar to seal them together. In 1840 and 1841, Jakob Leuthold, the local guide for the expedition team, served as the architect for the Hôtel. He directed the construction of a dry stone wall to enclose the sheltered interior, which measured 3.6m long, 1.8m wide, and 1.2m tall.
Archiv- und Feldarbeit | Archive and fieldwork
Dieses Projekt wurde durch umfangreiche Archiv- und Feldforschung entwickelt.
Das Hôtel des Neuchâtelois ging als architektonischer Raum verloren, als der Findling 1842 zerbrach. Die Fragmente der Hütte wurden dann durch die Gletscherwirkung über das Tal transportiert und als Schutt und verwittertes Material im Vorfeld des Gletschers abgelagert. Heute liegen die Überreste verstreut im Tal oder wurden vom Gletscherschmelzwasser durch das Grimsel-Tal zur Aare und schließlich zum Rhein und darüber hinaus gespühlt.
Spuren des Hôtels können in schriftlichen Berichten, Zeichnungen und Gemälden, Karten und Feldnotizen, sowie in den materiellen Aufzeichnungen in der Landschaft selbst gefunden werden. Im Laufe meiner Untersuchungen zur Hütte habe ich verschiedene Archive, persönliche Sammlungen, lokale Expert:innen, sowie den Ort selbst befragt.
This project has been developed through extensive archival research and fieldwork.
The Hôtel des Neuchâtelois was lost as an architectural space when the erratic boulder broke apart in 1842. The fragments of the hut were then carried across the valley by the action of the glacier and deposited as debris and weathered material in glacier’s forefield. Today its remains lie scattered across the valley or have been transported by the glacial meltwater through the Grimsel Valley, to the Aare river, and eventually to the Rhine and beyond.
Traces of the Hôtel can be found in written accounts, drawings and paintings, maps and fieldnotes, as well as the in-situ records of the landscape itself. My investigation of the hut has including consultation with various archives, personal collections, local experts, and the site itself, including:
Archives de l'État de Neuchâtel
Bibliothèque publique et universitaire de Neuchâtel
ETH Zürich collections
The Lauteraarhütte SAC (Stefan Hablützel & Claudia Schiesser)
Museum d’histoire naturelle de NeuchâtelArchives of Kraftwerke Oberhasli AG
Swiss Alpine Museum
The Unteraar Glacier
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Rekonstruktionsprozess | Reconstruction Process
Um das Hôtel des Neuchâtelois zu rekonstruieren, wurde eine Kombination digitaler und analoger Methoden angewendet. Die Archivbilder wurden zunächst gescannt und auf der bestehenden Website geolokalisiert, indem die Position der Gipfel und anderer Landschaftselemente vor Ort und im Hintergrund der Aquarelle herangezogen wurde. Von diesem ursprünglichen Positionspunkt aus wurde die Form des Hôtel projiziert und im Maßstab 1:1 digital modelliert.
Für die Ausstellung „The Temple of Science“ wurde dieses digitale Modell als Grundlage für die Herstellung eines Modells des Hôtel im Maßstab 1:10 verwendet, das den Blick auf den Lauteraargletscher zeigt. Fragmente der digital modellierten Form wurden mithilfe der traditionellen Gipsgusstechnik „Scagliola“ gegossen, um das Aussehen und die Qualität des ursprünglichen Glimmerschieferblocks nachzuahmen. Diese Fragmente wurden über eine Spiegeleinfassung zusammengefügt, welche die Trockensteinmauer der ursprünglichen Hütte repräsentiert. Ein Drahtgitter erweitert die Rekonstruktion, um die verbleibende Masse des Findlings anzudeuten.
The reconstruction of the Hôtel des Neuchâtelois was achieved through hybrid digital and analogue methods. The archival images were first scanned and geolocated in the existing site by referencing the location of peaks and other landscape elements on site and in the background of the watercolours. From that original position point, the form of the Hôtel was projected out and modelled digitally at 1:1 scale.
For The Temple of Science exhibition, this digital model was used as the basis to produce a 1:10 model of the Hôtel as viewed when looking towards the Lauteraar glacier. Fragments of the digitally modelled form were cast using the traditional plaster casting technique of scagliola, in order to achieve the appearance and quality of the original micaceous schist block. These fragments are assembled together, with a mirrored enclosure replacing the dry-stone wall of the original hut, and a wireframe mesh articulating the remaining mass of the erratic.
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Archiving Giessen, Begleitendes Projekt von Charlotte Wrigley | Accompanying project by Charlotte Wrigley
Das Öffentlichkeitsprojekt „Archiving Giessen“ läuft parallel zu The Temple of Science. Über das Aufzeichnen persönlicher Geschichten und Erfahrungen der Menschen in Gießen zielt es darauf ab, die in Archivierungsprozessen entstehenden Kategorien von Fachwissen und Wert in Frage zu stellen. Auf der Website Archiving Giessen können Sie mehr erfahren und Ihre Erinnerungen an das Archiv übermitteln.
„Archiving Giessen“ wird von Charlotte Wrigley, Stipendiatin des Panel on Planetary Thinking, realisiert. Die Arktis-Geografin hinterfragt in ihrem Projekt das Konzept von Ewigkeit, Eis und Kältespeicherung im Anthropozän.
Running alongside The Temple of Science is the public outreach project 'Archiving Giessen'. Drawing on the personal stories and experiences of the people of Giessen, it aims to challenge the categories of expertise and value that the process of archiving create. To find out more and submit your memories to the archive, go to Archiving Giessen.
"Archiving Giessen" is organised by Panel on Planetary Thinking fellow Charlotte Wrigley, an arctic geographer whose project interrogates the concept of eternity, ice, and cold storage in the Anthropocene.
Danksagung | Acknowledgements
Die Ausstellung The Temple of Science wurde mit großzügiger Unterstützung des Panel on Planetary Thinking der Justus-Liebig-Universität Gießen, der Kunsthalle Giessen und The Bartlett School of Architecture der University of London entwickelt.
The Temple of Science exhibition was developed with generous support from JLU Giessen's Panel on Planetary Thinking, Kunsthalle Giessen, and The Bartlett School of Architecture, UCL.
Ausstellungskuratorin | Exhibition curator:
Theresa Deichert, Kunsthalle Giessen
Metallarbeiten | Metalwork:
Alexej Alschiz
Videobearbeitung und Animation | Video editing and animation:
Jan Golfuß
Studioassistenten | Studio assistants:
Noah Lot
Aravindi Muthuwahandi
Tim Schröder
Udo Schröder
Projektunterstützung | Project support:
Liza B. Bauer
Fabricio Belsoff
Katharina Endres
Yolandé Gouws
Frederic Hanusch
Nadia Ismail
Claus Leggewie
Aravindi Muthuwahandi
Carsten Sehorz
Dirk Zschoke